Spreewälder Original – Die einzige Türmerin Deutschlands
Mit flinken Handbewegungen dreht Vera Städter den Schlüssel und öffnet die kleine unscheinbare Tür an der Seite des Turms. Auf einer alten Holzwendeltreppe beginnt die Reise in die Vergangenheit. Zwei Drehungen und einige Stufen später steht die Lübbenerin mit ihren Gästen in der Türmerstube. Ein schlichtes Bett, ein kleiner Tisch und Wasser zum Selbstabholen aus der Spree: „Falls Sie Ihren Aufenthalt im Spreewald verlängern wollen: Hier gibt’s noch eine Unterkunft“, sagt die Türmerin mit einem Augenzwinkern.
Seit fünf Jahren ist die Türmerstube an dieser Stelle eingerichtet. Christoph Tiede, der letzte Türmer, der mit seiner Familie Anfang des 18. Jahrhunderts im Turm zuhause war, lebte noch einige Meter höher. Heute ist die kleine Stube nicht nur Zwischenstopp beim Aufstieg, sondern auch märchenhaftes Kinderreich. Denn ein paar Mal im Jahr können kleine Besucher mit der Türmerin Märchenstunden in dem alten Gemäuer erleben.
Ein Turm voller Geschichten
Während die Gäste im Inneren des Wehr- und Wachturms auf rustikalen Holztreppen weiter emporklettern, steigt ihnen leichter Brandgeruch in die Nase. Der Zweite Weltkrieg – bei dem Lübben zu rund 80 Prozent zerstört wurde – hat bis heute sichtbare Spuren hinterlassen: Als der Turm im Frühjahr 1945 beschossen wurde, kam es zu einem Feuerinferno. Durch den Kamineffekt entstanden im Turm so hohe Temperaturen, dass die Ziegel nochmals gebrannt wurden und bis heute an einigen Stellen mit einer leicht glänzenden Schicht überzogen sind.
Im Laufe der Geschichte mussten die Lübbener ihren Turm öfter wieder aufbauen und herrichten. Zum Beispiel als ein starker Sturm 1891 die Turmspitze samt Kugel wieder herunter geweht hatte oder kurz vor der Wende, als es den Einwohnern trotz allgemeiner Materialknappheit gelang, 60 Festmeter Holz und mehr als zwei Tonnen Kupferblech aufzutreiben, um ihrem Wahrzeichen eine neue Haube aufzusetzen.
Der Ausblick als Belohnung für den Aufstieg
Nach einem Zwischenstopp an den drei Glocken, die heute wieder klingen, geht es weiter hinauf. Der Weg über die 115 Stufen wird am Ende mit einer tollen Aussicht belohnt. Vera Städter öffnet die Holzfensterläden und zeigt den Besuchern ihre Heimat von oben: Das neue Rathaus und das stattliche Paul-Gerhardt-Gymnasium, das Bürgerhäuser-Rondell am Markt und der weite Heilige Hain. In der Ferne sehen die Gäste das satte Grün von Ober- und Unterspreewald, dazwischen leuchtet das Dach von Tropical Island und wer genau hinschaut, kann sogar die Lübbenauer Kirchturmspitze entdecken.
Türmerin aus Leidenschaft
„Dieses Maigrün überall. Wunderschön“, sagt Vera Städter mit einer Begeisterung als stünde sie zum ersten Mal dort oben. Dabei schlüpft sie seit sieben Jahren in ihr historisches Gewand. Im Jahr 2011 übernahm sie das Amt von ihrem Vorgänger Karsten Steinberg. Seither begleitet sie Touristen und Einheimische in der Saison mehrmals in der Woche hinauf auf die Plattform in 22 Metern Höhe. Im Gepäck hat sie jede Menge Geschichten und Anekdoten. Mit ihrem Amt hat Vera Städter, die viele Jahre mit dem Spreewaldduo „Lothar & Klaus“ unterwegs war, ihre Leidenschaft für Stadtgeschichte entdeckt. Ihr Wissen hat sie nicht nur von der Tourismus, Kultur und Stadtmarketing Lübben GmbH. Sie hat auch selbst im Archiv recherchiert und mit vielen Zeitzeugen gesprochen. Langweilig wird ihr das Türmerinnen- Amt nicht. „Jede Führung ist anders, weil auch die Gäste immer wieder anders sind. Man lernt mit den Besuchern“, sagt Vera Städter.
Info und Kontakt
Während der Saison führt Vera Städter Gäste montags und freitags um 16.30 Uhr sowie mittwochs um 10.30 Uhr auf den Paul-Gerhardt-Turm. Treffpunkt ist am Fuße des Turmes. Weitere Turmbesichtigungen nach Vereinbarung.
Telefon: 03546/180813; tuermerin-luebben@gmx.de
Autor: Christiane Klein